Lilo David 

Ihre Reise kann beginnen 

Benehmen ist Glückssache, oder Shit Happens noch eins.

 

Da geht man guter Laune seiner Wege und plötzlich ist man mitten in einer hochnotpeinlichen Situation.

„ Gibst doch gar nicht „ denken Sie sich und dennoch ist genau das mir letzte Woche passiert.

Meine beiden Männer, die zwei verbliebenen zu Hause, und ich waren unterwegs. Sohnemann brauchte einen Anzug. Ich sag nur Abiball und verkneife mir jeglichen Kommentar. Zwei Stunden und drei Anzüge  später war der Einkauf erledigt. Stolz wie Bolle trug Sohnemann seinen Anzug zum Auto. Aber kein Anzug sieht perfekt aus, wenn man nicht das passende Oberhemd und eine fesche Krawatte dazu findet. Also nochmals hinein ins Vergnügen." Wat mut dat mut", pflegt hier der Hamburger zu sagen. Das Objekt unserer Begierde war das Einkaufszentrum in heimischer Nähe.  

Forsch, wie es so meine Art ist schlenderte ich den Gang in die Herrenoberbekleidung eines großen Einkaufsgeschäftes entlang. Im Blickwinkel sah ich eine Bekannte, mit der ich jeden Freitag sportle. So zusagen im Vorbeigehen erhascht man den Blick der Anderen und winkt sich fröhlich zu. Selbstredend waren Gesicht und  Aufmerksamkeit zum Objekt meiner Freude gerichtet. Was rechts und links, vor oder hinter mir stand,  lag oder saß war völlig aus meinem Focus verschwunden. Und so passierte es, dass ich im Umdrehen eine Frau mittleren Alters, mit meinem Arm an der Schulter traf. Ich finde, keine große Sache, wenn man es genau betrachtet. Aber fehl gedacht. Meine augenblickliche Entschuldigung, gepaart mit einem wirklich freundlichen Lächeln, wurde vehement beiseite geschoben. Ich hätte es ja noch verstanden, wenn entsprechende Dame brüskiert reagiert hätte und mir vielleicht ein „ Also hören Sie mal, passen Sie doch auf „ entgegen gebracht hätte. Aber was dann passierte war wirklich großes Kino. Ehrlich. Mein Verständnis für die Überbelastung mancher Gerichte wurde auf ganz neuer Weise geweckt. Bedenkt man, dass es sicherlich weitaus mehr Menschen gibt, die sich derartig aufführen und glauben, im absoluten Recht zu sein. Das sind auch diejenigen, die heimlich hinter der Gardine stehen, jeden Falschparker akribisch notieren, den Freund und Helfer rufen, wenn die Musik zu laut ist oder Kinder auf der Wiese spielen, nur weil sie sich in ihrer Ruhe gestört fühlen.

Nicht nur besagte Dame, sondern gleichwohl ihr Ehemann, der nicht minder grimmiger aussah als sie,  nahmen den kleinen Zwischenfall zum Anlass und keiften mich augenblicklich böse an. Ob ich wüsste, wie sehr ich sie verletzt hätte und welche Schmerzen sie jetzt erleiden müsste. Natürlich entschuldigte ich mich nochmals in aller Höflichkeit. Man weiß ja, was sich gehört. Mein Blick hingegen suchte Mann und Sohn, Die hingen mittlerweile mit Gesicht und Nase in den Regalen mit  Oberhemden. Für mich war der Fall erledigt und eigentlich wollte ich nur noch in Ruhe unseren Einkauf erledigen. Doch mach niemals die Rechnung ohne dein Gegenüber.  „ Halt. Bleiben Sie sofort stehen, ich will Name und Adresse und zwar auf der Stelle“ rief sie mir durch den ganzen Laden hinterher. Hätte ich ein Doppelkinn wäre mir dieses garantiert augenblicklich herabgefallen. So ungläubig, wie in diesem Moment  habe ich noch nie drein geschaut. Wie gesagt. Ich habe sie lediglich kurz und überhaupt nicht arglistig oder mit besonderer Härte angestoßen. Von Schaden und Mutwilligkeit kann hier nun wirklich keine Rede sein. Aber selbst nach einer nochmaligen Entschuldigung ließen beide nicht davon ab mich auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Das wir mittlerweile einen ganzen Pulk an Zuschauern um uns versammelt hatten lag wohl auf der Hand. Mir wurde die Situation immer unangenehmer und es wäre mir sehr lieb gewesen, wenn sich augenblicklich eine große unterirdische Falltür geöffnet hätte, in die ich dann hätte verschwinden können. Mein Herz schlug bis zum Hals und meine Stimme versagte mir beinah den Dienst, als ich mich nochmals, in aller Form für meine Unaufmerksamkeit entschuldigte (wohl bemerkt, die vierte Entschuldigung binnen weniger Minuten), doch anstatt Ruhe zu geben forderten beide vehement und ziemlich lautstark Name und Adresse und ließen sich mit nichts beruhigen. Selbst nicht, als mein Sohnemann sich zu seiner vollen Größe schützend vor mich stellte und im tiefen Bariton verkündete:“ Dann rufen Sie doch einen Notarzt“.  Mein Mutterherz war augenblicklich stolz wie Oskar und wuchs zu einer unbeschreiblichen Größe heran. Jetzt erst Recht, dachten wohl beide. Im Gleichklang wetterten sie  über meine Vorbildfunktion, und was ich überhaupt für eine Mutter wäre, ohne Anstand und Benehmen. Mir wurde die Sache immer peinlicher und mein Hals schwoll immer weiter zu. Genervt bat ich sie doch die Polizei und den Notarzt zu rufen, damit wir die Sache klären können, oder mich ein endlich in Ruhe zu lassen. Selbstredend vergaß ich die fünfte Entschuldigung nicht und verwies freundlich, aber bestimmend auf die vier vorherigen. Von der Seite hörte ich einen jungen Mann, der murmelnd seinen Senf dazu gab „ eine hätte auch gereicht „. Richtig, dachte ich. Drehte mich um und griff nach dem erst besten Oberhemd das ich fand. Mein Sohn flüsterte mir leise ins Ohr „ Ma , die sind weg“  

Dennoch, meine  gute Laune war wie weggeblasen. Und das Dümmste war, dass ich mich weder auf Hemd noch Krawatte konzentrieren konnte. Bluffte sogar meinen Sohn an, als der mit einem Hemd angetrabt kam, dass bei weitem so überhaupt nicht meiner Vorstellung von einem schicken Hemd entsprach. Dabei sollte er es doch schön  finden und nicht ich. Ein Blick mit Mann und Sohn und uns war klar, dass wir dieses Geschäft schleunigst verlassen sollten. Gott sei Dank war der Menschenauflauf auch seiner Wege gegangen und wir konnten ungehindert Richtung Ausgang. Im Augenwinkel sah ich plötzlich diese Krawatte. Ein Blau das haargenau zum Anzug passte. Für einen Moment vergaß ich Frau und Vorfall und widmete mich ganz diesem Exemplar. Und plötzlich, wie aus dem Nichts stand doch tatsächlich diese Frau neben mir. Himmel noch mal, dachte ich, darf es denn wahr sein. Nein. Es gibt weder Adresse, noch meinen Namen und auch keine sechste Entschuldigung. War auch nicht nötig. So richtig von oben herab, mit  einem Gesicht wie Sauerbier  sah sie mich an. Ich wusste gar nicht wie mir geschah, als sie sich zu mir hin beugte und zwischen ihren Zähnen folgenden Satz herausquetschte „ Kinderstube haben Sie nicht genossen“.

 Kennen Sie das, wenn es im Bauch grummelt und der Klos im Hals so dick ist, dass man kaum Luft bekommt? Genauso fühlte ich mich. Schwankend zwischen dem Wunsch zu heulen oder zu schreien, oder, was viel schlimmer ist hinter ihr herzugehen und ihr unmissverständlich meine Meinung zu sagen. Ehrlich. Ich hasse dieses Gefühl. Es macht mich ungerecht  und bringt mich jedes Mal dazu andere, die überhaupt nichts dafür können an zu bluffen. In diesem Fall waren es selbstredend Mann und Sohn.  Natürlich kann man unterschiedlicher Meinung sein, was Kinderstube, gutes Benehmen und Korrektheit im Umgang miteinander angeht. Aber mal ehrlich. Wer hat hier wohl den Vogel abgeschossen?

Es wundert mich immer wieder, dass Menschen der irrwitzigen Annahme sind zu glauben, dass derjenige, der am lautesten Schreit und zetert auch derjenige ist, der im Recht ist. Das Schlimme ist nicht der eigentliche Vorfall, obwohl peinlich genug war er mir schon. Das, was mich daran am meisten stört ist das Gefühl, welches ich noch Stunden später ganz tief in mir spüre. Es klebt wie Universalkleber an meinen Eingeweiden, zieht für Stunden meinen Magen zu einem engen Schlauch zusammen und lässt mich ratlos und beschämt da stehen. 

Natürlich habe ich mich gefragt, ob mein Verhalten richtig war. Ich finde, das sollte jeder tun, der in gleicher oder ähnlicher Situation gerät. Aber egal, wen ich auch danach gefragt habe, jeder sagte mir das Gleiche. „ Benehmen ist halt Glückssache“. Und damit war nicht das meinige gemeint.

Wie heißt es so schön: Es kann der Friedvolle nicht in Ruhe leben, wenn es seinem Gegenüber nicht gefällt.

In diesem Sinne

Herzlichst eure Lilo.

 

 

 

 

  

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