Lilo David 

Ihre Reise kann beginnen 

Von Kisten und Kästen und  unaufgeräumten Schubladen

 

Neulich war ich zu einem Konzert eines Liedermachers, den ich schon weit über vierzig Jahre verehre und gerne höre. Nicht jeden Tag, das wäre zu viel des Guten. Aber von Zeit zu Zeit lausche ich andächtig seinen Liedern und denke mir meinen Teil. So auch am vergangenen Montag. In einem Lied sang er von den Kisten und Kästen, die er mit weniger schönen Erinnerungen und schmerzlichen Ereignissen seines Lebens gefüllt hat und sie aufbewahrt, wie einen kostbaren Schatz.  Berührt saß ich da und hörte ihm zu, wie er musikalisch eine Kiste nach der anderen öffnete und das darin liegende Geheimnis preisgab. Und während er inbrünstig seine Ballade zum Besten gab, dachte ich an all die vielen Kisten und Kästen, meines Lebens, die ich irgendwo im Keller, in Nischen, aber vor allen Dingen, tief in meinem Herzen vergraben habe und, die ich wirklich und nur sehr selten und wenn höchstens  einen einzigen Spaltbreit öffne, weil ich das, was sich darin befindet, nie wieder sehen wollte und mich schon gar nicht daran erinnern möchte.   

Wir alle kennen diese Kisten und Kästen. Mancher unter uns hat eine ganze Armee davon im Keller. Fein aufgereiht und immer zum Sprung bereit. Bei anderen hingegen sind die Kisten und Kästen überschaubar und nehmen wenig Platz ein. Glück gehabt, mag da der eine oder andere sagen. Dennoch, haben tun wir sie alle und selbst dann, wenn sich im Verlauf vieler Jahre oder Jahrzehnte, um jede Erinnerung  ein ellenlanges Band an Spinnweben festsetzt, wird weder an ihnen gerüttelt noch werden sie ausgemistet. Wir tragen sie mit uns herum und lassen zu, dass sie manches Mal noch Jahre später unser Leben und Verhalten bestimmen und es unter Umständen so erschweren, dass wir unter der Last beinahe zerbrechen.   

Dabei hat er vollkommen Recht. Es tut gut, sich von Zeit zu Zeit von altem Plunder zu befreien. Mein Mann und ich tun das öfter.  Er seinen Schuppen und ich die heimischen Schubladen und Schränke.   Manches, was man unter all dem Kram findet, hat man vielleicht schon lange vermisst und freut sich diebisch es wiedergefunden zu haben. Anderes dafür kann beruhigt entsorgt werden. Man braucht es ganz einfach nicht mehr. Es noch länger aufzubewahren wäre vergebene Liebesmüh. Gut, es ist nicht das, was mein Barde  mit seinem Lied meinte. Aber vieles beginnt schlussendlich im Kleinen. Und bekanntlich braucht es für das Große oft sehr viel Mut und besser im Kleinen beginnen, als gar nichts tun. Aufräumen befreit die Seele, schafft Platz für Neues und kann ganz nebenbei auch verdammt viel Spaß machen. Wir sollten es eigentlich viel öfter tun, und zwar nicht nur in unseren Schränken und Schubladen, im Schuppen oder auf dem Dachboden, sondern, auch in unseren Köpfen und unserer Seele.

 Man muss sie öffnen, die Kisten, Kästen und Schubladen , die wir im Laufe unseres Lebens,  mit bittersüßen und nach Motten riechenden Erinnerungen vollgefüllt haben, um ihnen die Schrecken zu nehmen. Sich von alten Ängsten zu befreien, ist noch viel wichtiger, als sich um die unaufgeräumten Schubladen und Schränke zu kümmern und sie nach Nützlichem und Unbrauchbaren zu sortieren. Sich mit den weniger angenehmen Dingen seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, vielleicht auch kontrovers und ohne Pathos bietet die  Chance sie wirklich ein für alle Mal loszuwerden.

Unschöne Erinnerungen muss man  nicht glorifizieren und hochstilisieren. Das tut niemandem gut. Sich hin und wieder daran zu erinnern, kann nützlich sein, aber nur dann, wenn wir sie entzaubert haben und als das sehen, was sie im Grunde sind. Ereignisse, die uns in unserem Leben passiert sind.  Wir können unsere Vergangenheit nicht mehr ändern. Sie ist längst Geschichte und Schnee von gestern. Aber wir können dafür sorgen, dass alte schmerzliche Erinnerungen nicht unsere Gegenwart beeinflusst und schon gar nicht unsere Zukunft.  

Ich sage nicht, dass es leicht ist. Es ist viel angenehmer seine Kiste mit schönen Erinnerungen zu öffnen und sich, bei einem Glas Wein, allein oder mit Partner und Freunden, daran zu erfreuen.  Dennoch ist es notwendig auch die zu öffnen, die schwer und schwarz, in den Tiefen unserer ach so  zerbrechlichen Seele liegen, weil sie ansonsten ein Leben lang unseren Blick trüben, uns daran  hindern neue Wege zu gehen und mit den Jahren so groß und mächtig werden, dass für etwas anderes kaum noch Platz vorhanden ist.   

Wenn wir es schaffen, sie aufzubrechen,  von mir aus auch mit  einem gewaltigen Krach, und die  darin befindenden Erinnerungen durch das weit geöffnete Fenster fortfliegen lassen, wie eine lästige Fliege, sind wir viel besser für all das, was noch auf uns wartet gerüstet, können uns Neuem zuwenden und endlich unsere Vergangenheit als das sehen, was sie ist.

Eine Zeit , die längst hinter uns liegt.

 

In diesem Sinne

Herzlichst eure / ihre Lilo.

 

 

 

 

 

 

 

  

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